Ingeborg Bachmann meinte, dass die Wahrheit den Menschen zumutbar ist. Mir stellt sich allerdings die Frage, ob das wirklich zutrifft.
Die Aufklärung hat uns laut Siegmund Freud die drei bekannten "narzistischen Kränkungen" eingebracht.
Die erste Kränkung bescherte uns Galileo Galilei, indem er die Erde nicht mehr als Mittelpunkt des Universums ansah.
Charles Darwin sorgte für die zweite Kränkung der Menschheit, weil diese nicht von Gott erschaffen wurde, sondern vom Affen abstammt.
Die dritte Kränkung fügte uns Freud selbst zu, indem er herausfand, dass wir nicht Herr in unserem Oberstübchen sind und viele unserer Handlungen unbewusste Ursachen haben.
Seit Freud "kränkt" uns die Wissenschaft mit immer spektakuläreren Theorien.
- Das Libet-Experiment aus den 70er Jahren stellt den freien Willen in Frage. Wo kein freier Wille, da wird auch die Frage nach dem "Gut" und "Böse" obsolet.
- Das Universum wird durch ein Multiversum abgelöst, in dem jegliche Möglichkeitsform in einem "Paralelluniversum" tatsächlich und gleichzeitig stattfindet (mehr Relativismus geht ja wohl nicht mehr).
- Der "homo oeconomicus" (John Stuart Mill) als kapitalistisches Paradigma steht in jüngster Zeit zur Disposition. - Gott ist sowieso tot, ...
- Die Aufklärung selbst demontiert sich, indem sie dem Menschen die Fähigkeit abspricht, eine objektive Deutung der Wirklichkeit vorzunehmen.
Gesetzt dem Fall, der durchschnittliche Österreicher (oder Westler, weil überall anders hat die Aufklärung nie ernsthaft Fuß gefasst) wäre in der Lage, all die Konsequenzen dieser Theorien für sein Leben zu behirnen: er müsste sein komplettes Welt- und Selbstbild über den Haufen werfen. Dann schon lieber der Sprung aus dem Fenster. Oder noch besser: mauern, abstreiten, zynisch sein, gegenaufklären, ... Kopf in den Sand und sich von den Vereinfachern die Eier kraulen lassen.
Und ich verstehe ihn, weil die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft wirklich eine Zumutung sind.